Virtueller Rundgang
Wie so viele Museen haben wir uns während der Corona-Pandemie dazu entschlossen, einen virtuellen Rundgang anzubieten. Es handelt sich um einen Ausschnitt von nur zwölf Stationen, die ausgewählte Highlights der Dauerausstellung präsentieren. Natürlich erfahren Sie vor Ort viel mehr zu den einzelnen Stationen bzw. gibt es noch vieles zu entdecken. Kommen Sie gern zu den Öffnungszeiten vorbei oder vereinbaren Sie für Ihre Besuchergruppe einen gesonderten Termin.
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Von der ÄRZTEGENOSSENSCHAFT NORD über SKATBANK und WEIBERWIRTSCHAFT bis hin zum ZENTRALKONSUM – viele interessante Genossenschaften präsentieren sich im Deutschen Genossenschaftsmuseum an drehbaren Würfeln. Sie zeigen den Besuchern die Vielfalt in diesem Bereich auf. Manche staunen gar: "Ist INTERSPORT wirklich eine Genossenschaft? Das wusste ich gar nicht!" Zugleich unterstützen uns die genannten Firmen durch eine Spende bei unserer Arbeit.
Am 29. April 1883 starb Hermann Schulze-Delitzsch in seiner Wahlheimat Potsdam im 75. Lebensjahr. Sein Tod rief eine ungewöhnlich große Anteilnahme in weiten Teilen der Bevölkerung hervor. Etwa 10.000 Trauergäste, darunter viele prominente Politiker und Genossenschaftler, geleiteten ihn am 3. Mai 1883 zur letzten Ruhe auf den Alten Städtischen Friedhof in Potsdam. Seine unbestrittene Lebensleistung findet heute weltweite Anerkennung. Wertvolle Silberpokale zeugen in unserem Museum von dem großen Dank, den Schulze-Delitzsch wiederholt erhielt. In Delitzsch und Berlin wurden ihm Denkmäler errichtet; hier eine Plastik des Berliner Denkmals.
Im 2019 neu gestalteten Versammlungsraum werden die Besucher durch eine Weltkarte begrüßt, die etwas zur Verbreitung der Genossenschaftsidee aussagt. Die Überschrift lautet: „Eine Idee geht um die Welt …“. Die Weltkarte der Genossenschaften hebt hervor, dass es heute rund 800 Mio. Menschen als Genossenschaftsmitglieder gibt. Das entspricht etwa 10 Prozent der Erdbevölkerung. An neun Länderbeispielen kann sich der Besucher ansehen, wie die Genossenschaftsidee national umgesetzt wird. Vordenker wie Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich W. Raiffeisen sorgten dafür, dass diese Idee Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt und weit verbreitet wurde.
UNESCO Antrag
Viele Genossenschaften werben heute damit, dass die Genossenschaftsidee auf der repräsentativen internationalen UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit steht. Es war aber keine Genossenschaft, die diesen Titel bei der UNESCO beantragte, sondern die Schulze-Delitzsch-Gesellschaft in Gemeinschaft mit der Raiffeisen-Gesellschaft! Von der schwierigen und erfolgreichen Beantragung zwischen 2011 und 2016 berichtet eine Wand im neu gestalteten Versammlungsraum unseres Museums. Interessant ist, dass es zahlreiche Widerstände gegen diesen Antrag gab. Denn er musste sich gegen konkurrierende Vorschläge durchsetzen. Mit der Unterstützung vieler Befürworter aus Politik, Wirtschaft und Kultur ist es schließlich gelungen.
neu gestalteten Museumshof
Im Zuge der Modernisierung unseres Museums wurde 2020/21 der überdachte Hof neu gestaltet. Zunächst wurde das Glasdach mit einer dimmenden und reflektierenden UV-Schutzfolie versehen, damit sich dieser Bereich im Sommer nicht so aufheizt. Ebenso wurde der Klinkerboden neu verlegt. Ab 2022 gibt es hier Sonderausstellungen auf Alu-Dibond-Tafeln, die einzelne Genossenschaften aber auch Sonderthemen vorstellen und weitere Besucher ins Museum locken. Den Anfang machte eine Exposition zur Volksbank Delitzsch als älteste Kreditgenossenschaft Deutschlands.
In der oberen Museumsetage werden im grünen Saal die frühen Lebensjahre von Hermann Schulze-Delitzsch dargestellt. In einem Kasten hängt ein bemerkenswertes Dokument: Schulze-Delitzsch ließ sich 1854 einen Pass für eine Reise nach Dresden ausstellen. Er galt, so wurde darin vermerkt, als „unverdächtig legitimirt“ und durfte diese Strecke „mit angeführter Begleitung frei und ungehindert“ bereisen. Da Delitzsch zu Preußen gehörte und er nach Sachsen einreiste, bestand eine Passpflicht. Wir finden in diesem Dokument interessante Beschreibungen zur Person, neben den Angaben zum Aussehen handelt es sich auch um diese: Größe „fünf Fuß, vier Zoll“ – das entspricht in etwa 1,64 m.
jungen Schulze-Delitzsch
Schulze-Delitzsch (in seinen jungen Jahren hieß er nur Schulze) nutzte die Jahre 1837 bis 1844 zu ausgedehnten Bildungsreisen durch Europa. Sie sorgten für viele Eindrücke, erweiterten den geistigen Horizont und die Sprachkenntnisse. Sie zeigten dem jungen Juristen aber auch, wie prekär die Lage der einfachen Bevölkerung in vielen Ländern war. Unterwegs verfasste Schulze sogar Gedichte. Kaum zu glauben, dass es ihm 1838 unter dem leicht veränderten Namen „Schulz“ gelang, eine Sammlung von Wandergedichten beim mittlerweile renommierten Leipziger Verlag F. A. Brockhaus zu veröffentlichen. In unserer Dauerausstellung ist das Buch sowohl in der Verlegerbroschur als auch gebunden zu sehen.
genossenschaft der Welt
Schulze-Delitzsch regte 1849 zwei Vereine an, die als erste Handwerker-Einkaufsgenossenschaften der Welt gelten. Es handelte sich um die Delitzscher Tischlerassoziation und Schuhmacherassoziation. Die Idee: um sich im harten Wettbewerb mit der frühindustriellen Produktion besser aufzustellen, sollten sich die Handwerker eines Gebiets in der Frage des Einkaufs zusammenschließen. Indem sie größere Mengen (en gros) abnahmen, konnten sie den Einkaufspreis deutlich senken und unter sich aufteilen. Aus diesem Grund wurde ihre Bilanz gestärkt und die handwerkliche Arbeit konkurrenzfähiger. Das Modell wurde seitdem weltweit nachgeahmt. Heute finden sich Einkaufsgenossenschaften in vielen Bereichen. Sie alle gehen zurück auf Hermann Schulze-Delitzsch.
Urvater der Volksbank
Nachdem Schulze-Delitzsch Einkaufsgenossenschaften gegründet hatte, half er bei der Etablierung früher Kreditgenossenschaften für Handwerker. Der Delitzscher Vorschussverein von 1850 gilt als ein Meilenstein auf den Weg hin zur späteren Volksbank. Die Idee: Handwerker, die von vorhandenen Kreditanstalten kaum unterstützt wurden, sollten eine eigene Kasse für finanzielle Bedarfe und Notlagen bilden. Es bedurfte jedoch noch zahlreicher Änderungen und Erweiterungen des Geschäftsmodells sowie äußerer Anstöße, um es tragfähig zumachen. Schulze-Delitzsch setzte sich später auch für den Namen „Volksbank“ ein. Wäre es denkbar gewesen, dass sich diese Form auch als „Schulze-Delitzsch-Bank“, ähnlich wie im Falle von Raiffeisen mit dessen „Raiffeisenbank“ durchgesetzt hätte?
In der oberen Etage befindet sich ein roter Salon, der die Tätigkeit Schulze-Delitzschs als Abgeordneter vorstellt. Er war zunächst 1848/49 Abgeordneter in der Preußischen Nationalversammlung, seit 1861 im Preußischen Landtag, seit 1866 im Reichstag des Norddeutschen Bundes und seit 1871 im Deutschen Reichstag. Schulze-Delitzsch regte u. a. das erste Genossenschaftsgesetz in Preußen von 1867 an. Ein erhaltener Stich aus der Leipziger Zeitschrift „Die Gartenlaube“ (1874) zeigt eine Sitzung des Deutschen Reichstags während einer Rede von Schulze-Delitzsch. Links am Rand sieht im kritisch Otto von Bismarck zu. Die genossenschaftliche Reformbewegung wollte Bismarck so nicht akzeptieren.
Im Zentrum des roten Salons befindet sich ein imposantes Möbelstück aus der Biedermeier-Zeit: ein Steh-Sekretär. Darauf liegt unter Glas ein Brief von Schulze-Delitzsch, in dem es um die genossenschaftliche Arbeit geht. Schulze-Delitzsch pflegte recht groß und mit Schwung zu schreiben. Er unterrichtet einen Genossenschaftler namens Dr. Leching in Berlin über Folgendes: „Ich bitte, die Cooptirten [Genossenschaftler] zu benachrichtigen – Streicherberg nebst Victoriastraße 29 b. Ich gehe Freitag Nachmittag nach Potsdam.“ Datiert ist das Schriftstück leider nicht. Der originale Brief befindet sich im Bestand des Museums Barockschloss Delitzsch.
Raiffeisen und andere Genossenschaftspioniere
In diesem Raum werden ausgewählte Genossenschaftspioniere wie Anton Bernhardi (1813–1889), Victor Aimé Huber (1800–1869), Ferdinand Lassalle (1825–1864) und Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) im Vergleich zu Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1888) vorgestellt. Es ist faszinierend, wie sich diese Persönlichkeiten gegenseitig wahrnahmen, um jeweils eigene Genossenschaftsgründungen mit speziellen Merkmalen zu entwickeln. Fakt ist, und dies ist an einer daneben angebrachten Deutschlandkarte zu sehen, dass sich frühe Genossenschaftsideen "wie ein Lauffeuer" verbreiteten.