Seit ca. drei Wochen ist auf der unteren Etage unseres Museums eine Wanderausstellung zu Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888), einer der bedeutendsten Pioniere der deutschen Genossenschaftsbewegung neben Hermann Schulze-Delitzsch (1808 – 1883) zu sehen. Auf elf Tafeln wird sein Lebenswerk vorgestellt, das schließlich zur Ausformung eigener, originärer Genossenschaftsideen und zur Gründung mehrerer erfolgreich arbeitender Genossenschaften vor allem im ländlichen Bereich führte.
Auf der gut besuchten Finissage der Wanderausstellung sprachen am Vormittag des 27. Septembers die beiden stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft – Josef Zolk und der Deutschen Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft – Dr. Manfred Wilde. Ihnen ging es darum, die Hauptanliegen der Gründungsväter zu benennen und im Vergleich Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Beide Referenten haben zur Thematik einschlägig publiziert und gelten als Kenner der Materie.
Josef Zolk, früher ebenso wie Raiffeisen Bürgermeister von Flammersfeld, ging in seinem Beitrag zunächst auf die schweren Schicksalsschläge Raiffeisens ein, die sein Leben nachhaltig prägten. Seine Frau starb 1863 in jungen Jahren. Fortan musste Raiffeisen für vier Kinder allein sorgen. Ein starkes Augenleiden zog viele Einschränkungen nach sich und führte zu einer Frühpensionierung bei geringen Bezügen. Trotz widriger Umstände arbeitete Raiffeisen ohne Unterlass an seiner Genossenschaftsidee und machte sich hierin einen Namen. Christliche Verantwortung und Nächstenliebe sollten nach ihm in Einklang mit genossenschaftlichen Strukturen die Not auf dem Lande und anderswo lindern.
Dr. Manfred Wilde, Oberbürgermeister der Stadt Delitzsch stellte bei seiner Erwiderung zum Lebenswerk von Schulze-Delitzsch vor allem dessen Einsatz für das städtische Handwerk heraus. Zugleich war Schulze-Delitzsch ein über die Grenzen Deutschlands bekannter Politiker, der seit der Revolution 1848/49 zunächst in der Preußischen Nationalversammlung arbeitete, später in weiteren Parlamenten bis hin zum 1871 gegründeten Deutschen Reichstag. Das von ihm 1867 auf den Weg gebrachte preußische Genossenschaftsgesetz ist ein Meilenstein in der Entwicklung des modernen Genossenschaftswesens. Die Unterschiede seiner Genossenschaften im Vergleich zu denen Raiffeisens erklären sich laut Dr. Wilde aus den spezifischen Erfordernissen des zeitgenössischen Handwerks.
Beide Referenten waren sich am Ende darin einig, das Raiffeisen und Schulze-Delitzsch, im Geiste wesensgleich waren, wenn es um die Bedeutung einer funktionierenden Sozialgesellschaft ging. Die Finissage wurde durch einen Empfang um 13.30 Uhr beendet.
Übrigens: Wer die Wanderausstellung noch nicht sehen konnte: Sie ist trotz der feierlichen Schließung noch bis Ende der 41. Kalenderwoche in einer gekürzten Version hier im Hause zu besichtigen, bevor sie ihre Reise durch die deutschsprachigen Länder fortsetzen wird. Das Kommen lohnt sich!