(ein Beitrag von Dr. Klaus Amon)
Hanffelder in Mittelgebirgsregionen? Wer in diesem Sommer etwas aufmerksam durch den Werra-Meißner-Kreis radelt, wird vielleicht festgestellt haben, dass sich eine alte Kulturpflanze anschickt, angestammtes Terrain wieder zu erobern: der Nutzhanf (Cannabis sativa). Angestammtes Terrain? Aber ja: im Werratal ist der Hanfanbau agrarhistorisch nachgewiesen. Quellen belegen für die Mitte des 18. und 19. Jahrhunderts neben einer Vielfalt von Ackerfrüchten zur Selbstversorgung auch den Anbau von marktfähigen Produkten, die der Weiterverarbeitung dienten, darunter eben auch Hanf. Wenn hierzulande nun wieder Nutzhanf angebaut wird, ist dies die Fortsetzung einer Tradition, die durch eine lange Diskriminierung und sogar eine Verbotsperiode (1982 bis 1996) unterbrochen war.
Cannabis sativa – der hier verwendeten Hanfsorte ist durch Züchtung der berauschende, psychoaktive THC-Gehalt bis auf völlig unbedeutende 0,2 % entzogen worden – ist ein ungewöhnlich vielseitiger nachwachsender Rohstoff. Sämtliche Pflanzenbestandteile sind verwertbar, entsprechend lang ist die Liste der Produkte: aus Hanfblüten werden z.B. bierartige Brauereiprodukte und Limonaden, aus Blättern Tees, aus den Hanfsamen (botanisch korrekt: „Hanfnüsse“) ernährungsphysiologisch höchstwertiges Hanföl gefertigt, welches wiederum Grundlage von Medizinprodukten, Tierfutter und einer Vielzahl von Kosmetika, Seifen und Shampoos ist. Als technisches Öl dient es als petrochemiefreie ölige Grundlage von Farben, Lacken, Tinten und Tensiden mit guter biologischer Abbaubarkeit. Die Fasern werden zu Dämmstoffen, Faser-Werkstoffen, Textilien, Tauen mit außergewöhnlicher Reißfestigkeit, zu Zellstoffen und hochwertigen Papieren verarbeitet. Letztlich sind die holzigen Bestandteile („Schäben“) verwertbar als Baustoffe und Einstreu (vom Hamsterkäfig bis zum Pferdestall). Und wer weiß, was findige Forscher und Praktiker noch entdecken mögen.
Besonders wichtig aus umwelt- und naturschützerischer Sicht: aufgrund des schnellen Wachstums der Hanfpflanze mit Unterdrückung des Beikrauts sind auch bei konventioneller Bewirtschaftung keinerlei Herbizide erforderlich, wegen der Robustheit und Widerstandsfähigkeit auch keine sonstigen „Pflanzenschutzmittel“. Grundwasserschutz, Bodenverbesserung und fast rückstandslose, ressourcenschonende Nutzung bei geringem Aufwand führen zu einem nachhaltigen ökologischen Benefit, insbesondere, wenn auf kurze Transportwege geachtet wird. Im Ökolandbau kommt der Verzicht auf mineralische Düngung noch hinzu.
Viele Kenntnisse über die Hanfpflanze – Anbau, Aufwuchs und bestimmte Verwertungsbedingungen – sind durch den Siegeszug der Kunstfasern und Öle auf petrochemischer Basis, aber auch durch Diffamierung und Anbauverbot verloren gegangen.
Ein Kreis von Hanf-Enthusiasten hat sich im Werra-Meißner-Kreis und darüber hinaus im gesamten Werratal aufgemacht, dies zu verändern, also die zahlreichen Vorteile des Hanfanbaus aufzuzeigen und die Nutzung dieser außergewöhnlichen Kulturpflanze zu propagieren. Die Gruppe hat im November 2017 eine ökologisch und regional orientierte Genossenschaft unter dem Signet “WerraHanf“ gegründet und lädt andere Überzeugte, potentielle Produzenten und Verwerter oder visionäre (Manufaktur-)Gründer ein, ebenfalls beizutreten und Anteile zu zeichnen. Schmackhaft gemacht wird dies durch attraktive Produkte aus Bio-Werrahanf: Hessens erste Bio-Brauerei – Schinkels Brauhaus in Witzenhausen – hat ein Hanfgebräu für besondere Gelegenheiten – „Cannabi(er)“ – komponiert und in der Chattengauer Ölmühle in Gudensberg ist das erste Werrataler Biohanföl entstanden. Daneben werden Grundsubstanzen für gesunde Tees, Seifen, Wurstwaren, Brotaufstriche und hochwertiges Tierfutter vertrieben. Die Protagonisten schwören auf schwarmintelligenten Umgang miteinander und mit neuen Ideen.
Klaus.Amon@werrahanf.de